Im Engadin scheint an über 300 Tagen im Jahr die Sonne, und wer in Maloja und Südspanien Solarpanels montiert, gewinnt angeblich etwa gleich viel Energie. Wie ich aber morgens um 4:45 Uhr losziehe, ist es natürlich noch zappenduster - und es regnet, regnet, regnet...
Der Wanderweg zum auf 2'484 m ü.M. gelegenen Lägh dal Lunghin ist mit Stirnlampe im Dunkeln gut zu erkennen. Nach der bewusst gemütlichen Aufwärmphase lege ich einen Zacken zu, ich will ans Wasser. Mit der Dämmerung kicken die körpereigenen Drogen rein, seitlich boxt der Fischer-Jagd-Trieb, auf zu den letzten Bergseefischertagen dieser Saison!
Oben angekommen gibt's gleich beim ersten Wurf einen Nachläufer: YES, sie sind da! Gespannt suche ich den See ab, aber vorerst bewegt sich nichts mehr. Leicht verunsichert fummle ich in meiner Köderbox herum. Die strengen Vorschriften, die überstürzten Vorbereitungen - mein Arsenal ist dünn. Ich komme mir mit meinen Methoden grob vor und bewährte Köder schwimmen unbeachtet durch's Wasser. Als mich schon langsam der Mut verlässt, hängt ZACK einer dran und landet im Kescher. Es ist ein Namaycush, vielleicht 28, 29 cm lang, also husch zurück in die Tiefen, das Schonmass liegt bei 30 cm.
Die Kante hat aber Potenzial! Konzentriert mache ich weiter und jetzt geht was. Die Fische und ich spielen Katz und Maus. Ein Schatten, er dreht ab. Ein Anfasser, ein Biss, kurzer Drill...aaah, verfluchter Mist. So geht's noch eine Weile weiter, einen nehme ich mit, einen 33er, wenn ich mich recht erinnere.
Kein Prügel, aber ich bin dankbar und zufrieden. Es ist erst meine zweite Saison. Ich mache weiter bis zur Felswand, einmal rüttelt's noch am andern Ende der Leitung, aber der kleine Räuber bleibt Sieger.
Ich mache mich auf den Weg zum nahegelegenen Lej Nair auf 2'456 m ü.M. (Achtung Verwechslungsgefahr, von den "schwarzen Seen" gibt's im GR mehrere).
Die Wolken haben sich ein Stück weit verzogen, ich sehe auf den Silsersee runter. Dort bedrohen die Namaycushs angeblich dermassen die anderen Arten, dass es kein Schonmass mehr gibt. Die Talseen sind aber schon zu, wir haben fast Mitte Oktober.
Zu meinem Erstaunen - es ist schon gegen Mittag - kann ich auch am Lej Nair einige Aktionen verbuchen. Nach dem Umrunden des Seeleins und dem Fang meiner ersten Bachforelle an einem Bergsee ist Schluss, ich habe noch den Abstieg vor mir.
Während der ganzen Zeit habe ich die Seen und Berge für mich alleine... und daran sollte sich auch für den Rest der Woche nicht viel ändern.
Am nächsten Tag schlafe ich aus - der Auftakt ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen, zudem sieht's mit dem Wetter nach wie vor durchzogen bis scheisse aus. Ich entschliesse mich zu einem Seitensprung. Obwohl noch am ehesten im Berninagebiet mit einigermassen gutem Wetter zu rechnen ist, reizt mich ein See ennet dem Albulapass. Ich fahre gegen Mittag los, und auf der Nordseite fängt's natürlich wieder an zu schiffen...
Im Kofferraum hab ich das Bike. Die erste Hälfte zum See kann ich schiebend und fahrend zurücklegen, in der zweiten geht es zu Fuss weiter. Langsam wird alles nass, von innen und von aussen. Ich mache mir wieder einen Sport aus dem Aufstieg und komme zügig vorwärts. Obenrum nur mit T-Shirt bekleidet, im Eisregen, die Unterarme taub und feuerrot, aber welch ein gutes Gefühl, als ich oben bin, mich abtrockne, Kleider wechsle und von innen heize: sensationell! (So fühlen sich bestimmt die Verrückten vom Jungfraumarathon am Ziel).
Bei dem Felsblock hinten links hat jemand einen kleinen, primitiven Unterstand gebaut, ich montiere dort meine Waffe und mache mich an die Arbeit. Und kurz darauf...gibt's denn das...kommt auch hier gleich bei den ersten Würfen Leben auf.
Seltsamerweise ist der See verkrautet. Sowas habe ich bei einem Bergsee auf dieser Höhe (ich bin ungefähr auf gleicher Quote wie gestern) noch nie gesehen. Das muss sich doch positiv auf den Speiseplan meiner Ziele auswirken. Was sich da erschrocken vom Köder abdreht, scheint meine Vermutung zu bestätigen: die Fische sind grösser als die gestern!
Aber zuerst verführe ich keinen zum konsequenten Beissen, und dann brechen sämtliche Aktivitäten ein. Was folgt, sind 2 h Ruhe. Ich will schon fast heimkehren, es geht gegen 18 Uhr zu, da sind sie wieder. Nach 1 1/2 Seeumrundungen attackieren die Damen und Herren ziemlich heftig, leider lande ich eine trächtige knapp 40er Bachforelle, die wieder entlassen wird, auf dass sie sich hier vermehren kann. Ich gebe mich geschlagen und packe zusammen, denn es ist höchste Zeit für den Abstieg. Dabei frage ich mich, ob es schon Leute gibt, die Gleitschirmfliegen und Fischen verbinden, so steil ist das da.
Kurz bevor es gefährlich dunkel wird, habe ich den steilen Teil geschafft. Mit der Stirnlampe nachts im Nebel ist aber auch nicht ohne, wie ich merken muss. Trotzdem kann ich mehr oder weniger auf Anhieb das Bike finden und zum Auto rollen.
Am dritten Tag fetze ich im Auto über den Berninapass Richtung Puschlav. Per Bike geht's ab Sfazu zum Lago Saoseo. Zum ersten mal bleibe ich trocken, und zum ersten mal bin ich nicht alleine unterwegs. Wenige Minuten vom See entfernt muss es eine Unterkunft geben, ein kleines Poschi fährt auch hoch.
Ich klettere auf diesen Felsblock (Bild oben), der aussieht wie ein badendes Murmeltier, und beobachte die wie erwartet kleinwüchsigen und eher mageren Bachforellen im schon fast kitschig blauen Wasser.
"Zu viele Leute", denke ich mir und setze meinen Weg fort an den bereits verlassenen Lago Viola ein gutes Stück weiter oben. Angeblich soll's hier die grösseren geben! Ich hab aber nur einmal einen Nachläufer und that's it. Landschaftlich ist jedoch auch dieses Fleckchen Erde atemberaubend...
Statt Fischbilder hier ein bisschen Alpen-und-Bergsee-Porno
1 1/2 Stunden vor dem Eindunkeln mache ich mich auf den Rückweg zum Saoseo und fange dort zwei kleine Bachforellen, massig zwar, aber die eine sicher voll Laich und die andere - die flutscht mir durch die Finger zurück in ihr Element, so dünn ist die.
Am vierten Tag mache ich es mir einfach. Ich fahre zur Talstation der Lagalpbahn und wandere im Dunkeln eine Stunde lang zum Lej Minor auf 2'361 m ü.M. (siehe unten). Bei Tagesanbruch bin ich am Wasser, bleibe aber erfolglos. Speziell an diesem See scheint mir die unmittelbare Uferzone: wie in einem Bach stehen die Fische hier zum Teil direkt unter den Steinen ganz am Rand. Meine Köderwahl beeindruckt sie aber nicht im geringsten. Ich bin nicht sonderlich motiviert und ziehe Leine.
Ich will im Bogen um den Berg rum und mit der RhB ab Bernina Hospiz zum Auto zurück, um in Samedan oder Pontresina baden zu gehen, da stosse ich doch gleich an der Strasse noch auf den Lago di Crocetta! Den hatte ich übersehen bei der Planung. Mal schauen was da geht! Zwei dicke, dicke Teile stehen nahe am Ufer und sind gemütlich am Steigen...und verschwinden nach meinen ersten zwei Würfen. Naja.
Das war's dann. Zur gleichen Zeit muss eine Frau am Julier (oder war es am Albana?) abgestürzt sein, der Wanderweg war schneebedeckt. Das gibt mir zu denken, und den Lej de la Tscheppa, der so einigermassen auf meinem Heimweg liegen würde, lasse ich aus, da das Wetter nicht bessert. Mit ihm, dem extrem abgelegenen Lej Rosatsch, den Lejs da Burdun, und vielen anderen der unzähligen Seen und Bäche im ganzen Kanton habe ich in naher Zukunft noch etwas vor.