Dienstag Mittag wollten Pascal und ich vom Zürich HB abreisen, doch dank unserer preiserhöhenden und wahnsinnig zuverlässigen SBB verbrachte ich zuerst einige bange Minuten vor dem Infoschalter, bevor die ebenso gestresste Schalterfrau mich informierte, dass die Störungen im Gotthard behoben sind und die Züge planmässig fahren. "Das fängt ja gut an", dachte ich… Dank der Vorfreude vergingen die Zwei Stunden und 47 Minuten allerdings relativ schnell und wir stiegen nach Plan in Bellinzona in die S-Bahn 20 um, die uns nach Locarno brachte. Im Vorfeld habe ich mich über die Patentausgabestellen informiert, doch ich war trotzdem ein wenig überrascht, als ich das Tourismusbüro im direkt im Casino vorfand. Obwohl wir nicht so ganz in die Umgebung passten, (wann kann man denn sonst als 15-Jähriger ein Casino betreten ), füllten wir unsere Patente direkt neben einem "Einarmigen Bandit" aus. Der Preis der Patente ist für Jugendliche sehr sehr human, ein Wochenpatent kostet nur 30 Franken, was uns natürlich sehr entgegenkam. Nach einem Tessiner Gazossa fuhren wir mit dem Bus 50 Minuten bis nach Bignasco, wo wir die nächsten 4 Tage im Hotel Turisti logierten. Das Hotel ist einfach, sauber und das Personal ist das freundlichste, das ich bisher erlebt habe. Also, falls jemand plant dem Valle Maggia einen Besuch abzustatten, kann ich dieses Hotel nur empfehlen. Und Nein, ich erhalte keine finanziellen oder sonstwelche Zuwendungen für diesen Bericht .
Ein kritischer Blick Richtung Gotthard...
Das Wetter könnte besser sein
Erster Fischabend
Nach Bezug des Zimmers, waren wir natürlich erpicht darauf, unsere Fliegen im überraschend kühlem Wasser der Maggia zu baden. Durch die Vorberichte fast ein bisschen eingeschüchtert, die das Valle Maggia besonders um diese Jahreszeit, als extrem schwieriges Gewässer bezeichneten, gingen wir eben leider doch mit einigen Erwartungen an diesen schönen Fluss, welche uns nach zwei Stunden an den schönsten Pools ohne jeglichen Fischkontakt einige Enttäuschung einbrachte.
Die Maggia am ersten Abend
Ein sehr gutes Corden-Bleu und weitere Gazossa halfen uns, die Frustration zu vergessen. Bier ist im Kt. Tessin übrigens leider ab 18 .
Wir begriffen langsam, dass wir mit dem völlig falschen Ansatz gefischt hatten. Das Tal und insbesondere der Fluss schulden uns nichts, wir wussten wie schwierig es ist, in diesem kalten Wasser Fische zu fangen. Wir sollten die Tage auch mit mageren bis gar keinen Fängen geniessen, deshalb sind wir ja ins Tessin gekommen! Keine Bachforellen fangen und danach frustriert sein, könnten wir auch an der Limmat! Aber an diesem magischen Ort ist es anders, hier wird das Fangen zur Nebensache, hier wandert, klettert, und wirft man mit Genuss, auch wenn sich einem kein Fisch erbarmt.
Erster Tag
Nach diesem Sinneswandel konnte auch die fischereiliche Heilung beginnen und wir standen früh auf, sodass wir um 8 Uhr mit dem ersten Postauto ins Val Bavona, einem relativ grossem Seitenfluss der Maggia fahren konnten.
Die Aussicht morgens vom Hotelzimmer aus... Traumhaftes Wetter, CHECK!
Die Fahrt nach oben ist alleine schon sehr eindrucksvoll. Das Val Bavona wurde im 16. Jahrhundert von den Bewohnern verlassen und hat bis heute ins Jahr 2014, wo jeder Flecken der Schweizer Eidgenossenschaft zersiedelt ist und schon dreimal überbaut wurde, keine Stück seiner Wildheit und Ursprünglichkeit verloren. Wir stiegen an einer Haltestelle in einer saisonal bewohnten Häuseransammlung, namens Sornico, deren Behausungen nur aus alten Trockenmauern bestehen, aus.
Sornico...
Wir versuchten uns einen Weg durch den undurchdringbaren und mit zehn Meter hohen, vor Jahrhunderten von den Felswänden ins Tal geschleuderten Felsen durchsetzten Wald zu durchqueren, eine Plan, den wir allerdings bald wieder aufgeben mussten. Stattdessen wateten wir durch einen wilden Seitenbach, in dem wir auch die ersten Forellen zu Gesicht bekamen. Nach einiger Zeit erblickten wir die wilde Bavona hinter einem Netz aus Ästen, durch die wir uns zuerst einen Weg bahnen mussten, um kurz darauf an einem prächtigen und mindestens drei Meter tiefen und smaragdfarbenen Pool zu stehen. Diesen befischte ich mit einer Nymphe und einem Springer, an den ein roter Haken geknüpft war. Pascal versuchte es mit einem Wobbler. Nach erfolglosen Würfen montierte ich einen Strammer, um der Sache wortwörtlich auf den Grund zu gehen. Den einzigen Biss konnte ich dann leider nicht verwerten, aber das war mir nach einem kurzen "F*ck", auch wieder egal, denn wenn man an diesem Fluss steht, ist das einzige, was von der Existenz anderer Menschen zeugt, einige Steinmännchen, die kerzengerade am Flussufer stehen. Wir umwanderten einige riesige Felsbrocken auf einfallsreiche Weise um dann wieder an einem wunderbaren Pool zu stehen. Dies wiederholte sich, wir erreichten alle hundert Meter einen "Pozzi", wie sie im Tessin gennant werden, einer schöner als der andere. Doch trotz der traumhaften Kulisse, Nichts…
Die Aussicht vom Gipfel eines Lawinenkegels...
Wir beschlossen nach einer ausgiebigen Mittagspause mitten im Flussbett, einige Kilometer nach unten zu wandern, um wieder einige schöne Pools zu erreichen.
Die Menschen, die hier mal gewohnt haben, müssen einfallsreich gewesen sein...
Als wir von der Strasse, die auf der anderen Talseite, sicher durch 500 Meter dichtesten Kastanienwald mit riesigen Felsen vom Fluss getrennt wieder ans Wasser gelangen wollten, verlor ich auch noch meine Polbrille, die wir dann 20 Minuten im unwegsamsten Gelände suchen mussten. Nach dem langersehnten Fund wandten wir uns wieder dem Fischen zu. Mit dem ersten Wurf konnte ich auf eine Bachflohkrebsimitation den ersten Biss verwerten, und eine kleine Forelle landen. Wir waren überglücklich ob der unglaublich schön gezeichneten Forelle, nach einer kurzen Bekanntschaft mit Pascals Kamera durfte die übermütige Kämpferin wieder in das kristallklare Wasser des magischen Flusses eintauchen.
Es geht nicht immer nur um die Grösse...
Ein schöner Pool...
Den Rest des Tages verbrachten wir zufrieden am Wildfluss ohne grössere Ambitionen noch einen Fisch anzuleinen und mussten am Schluss, als wir in der Idylle die Zeit vergessen hatten, noch auf das letzte Postauto sprinten, welches wir dann glücklicherweise auch noch erwischten.
Als wir nach 30 minütiger Fahrt mit dem Auto Postale im Hotel ankamen, wollte der Koch wissen: "Wo Fisch?" Ich antwortete ihm: "Fisch im Wasser, glitschig." Er war sichtlich enttäuscht, ich glaube er hoffte Wildforelle kochen zu können .
Wir ruhten uns im Hotel aus, bevor wir noch eineinhalb Stunden an der Maggia fischen gingen. Zuerst hatten wir keinerlei Fischkontakt und wir genossen nur die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Doch plötzlich, in einem langen Pool, direkt in Bignasco, begann ein Massensteigen… Ich bot sofort meine selbst gebundene 12er Segde an, die allerdings verschmäht wurde. Ich konnte nicht sehen, was von den Fischen genommen wurde, deshalb knüpfte ich einfach mal eine 18er Ameise an und siehe da; Beim ersten Wurf biss eine kleine Forelle, die ich mit meinem etwas ungestümen Anschlag gute vier Meter zu mir katapultierte. Nach einem missratenen Wurf mitten in den Pool, war der Spuk allerdings schon wieder vorbei. Naja, so kann man sich die Fangchancen auch zerstören…
Zweiter Tag
Am nächsten Morgen standen wir wiederum auf um mit dem Postauto ins Bavonatal zu fahren. Wir wollten allerdings nicht den Hauptfluss befischen, sondern einen Nebenbach, der weit oben in einer Hochebene liegt. Nach dem Aussteigen in einem "Terre", wie die Dörfer im Valle Bavona genannt werden, suchten wir den gut ausgeschilderten Wanderweg, der doch einiges an Kondition erfordert, da er doch dreihundert Höhenmeter überwindet. In den Wathosen war das Wandern nicht gerade easy und wir waren froh, als wir den Bach erblickten.
Auch die Eidechsen begleiteten uns auf Schritt und Tritt...
Wir fischten nun beide mit der Fliegenrute, genauer mit der oben erwähnten Springermontage und einigen Trockenfliegen.
Der Pool war gut zwei Meter tief, no Chance mit der Trockenfliege...
Das Einzige, das wir bis zum Mittagessen vorweisen konnten, waren ein paar wenige Fehlbisse. Ich änderte die Taktik und fischte eine Tschernobyl Ant, an deren Hakenbogen ein roter Haken eingebunden war.
Die Ränder der Pools rochen geradezu nach Fisch...
Auf diese Konstellation konnte ich wiederum einige unterhaltsame Mini-Drills erleben, auch mit Forellen um die 40cm Marke. Wir schafften es aber den ganzen Tag nicht, einen einzigen Fisch aufs trockene zu befördern.
Wenn ich ehrlich bin, zweifelte ich während wir mit dem Postauto ins Tal fuhren, ernsthaft an meinen Fähigkeiten und war nah dran an der Kapitulation vor dem magischen und doch verhexten Valle Maggia.
Wir waren sehr müde und liessen deshalb die Abendsession an der Maggia ausfallen.
Der nächste Tag war leider schon Abreisetag und wir machten den Plan nochmals für sechs Stunden die Maggia zu befischen. Wir wollten um acht Uhr mit dem Postauto bis nach Broglio fahren, bis vierzehn Uhr fischen und danach die Heimreise antreten. An sich ein guter Plan, nur haben wir nicht mit dem arbeitsverweigernden Wecker gerechnet. Wir verschliefen und kamen eine halbe Stunde zu spät zum Morgenessen. Wir verpassten den Bus und wollten deshalb das zehn Uhr Postauto nehmen. Wiederum ein schöner Plan, nur vergassen wir, bei der Suche nach einem Bancomat erneut die Zeit und erwischten das Postauto nicht mehr.
Deshalb blieb uns nur die Option an der Maggia direkt in Bignasco und Cavergno zu fischen. Bevor wir aufbrachen, verfasste ich im Live-Thread noch diesen Eintrag: [quote]vielleicht erbarmt sich die Maggia uns ja jetzt...[/quote].
Wenn ich nur gewusst hätte, wie Recht ich damit hatte…
Letzter Tag
Wir gefischten die Pools nur oberflächlich, denn wir begriffen, das Wichtige hatten wir alles schon erreicht in diesen Ferien. Wir beiden 15-Jährigen waren alleine in einem 500 Seelen Dorf in Bignasco an einem der unberechenbarsten und schwierigsten Flüsse der Schweiz nach 4 Stunden Reise angekommen, haben sogar Fisch(e) gefangen und sind noch nicht von einer Flutwelle dahingerafft worden.
Befreit von dieser Erkenntnis konnten wir auch endlich konzentriert und ohne Druck fischen. Die uns schon bekannten Stellen fischten wir nicht mehr ab, sondern wanderten direkt zu einem etwa zwanzig Meter langen "Pozzi." Nach etwa zehn erfolglosen Würfen, sagte ich zu Pascal, der mit der Spinnrute unterwegs war und einen Depps der Grösse 1 angeknüpft hatte, wir sollten zusammenpacken, da wir noch abrechnen müssten und ansonsten das Postauto verpassen würden. Er sagte, "Jaja na ein Wurf" Ich steckte schon mal meine Rute auseinander und plötzlich :"Äh du leo ich hann eine!" Ich war irgendwie konsterniert, nach 4 Tagen und beim letzten Wurf noch eine Forelle gehakt!! Ich warf meine Fliegenrute beiseite und realisierte dass ich den Feuer im Hotel gelassen hatte, also bereitete ich mich auf eine Handlandung vor, während Pascal souverän drillte. Ich bekam die Forelle zu fassen und liess sie nicht mehr los, so entschlossen waren wir, den Fisch nicht zu verlieren. Pascal sagte, er wolle ihn entnehmen, ich zweifelte, dass sie das Schonmass tatsächlich schon erreicht hatte, das Messen wollten wir ihr aber ersparen. Trotz meiner Einwände entnahmen wir sie dann und nahmen sie noch am Wasser aus.
Ich empfand noch nie eine so grosse Freude über einen an sich unspektakulären Fisch!
Wir beschlossen, das dies der letzte Wurf im Tessin sein sollte und wir diese Reise so in Erinnerung behalten werden, wie sie aufgehört hat.