1100 Forellen aus der Aare gefischt
Von Sibylle Hunziker / 07.10.2014
Bevor die Kraftwerke Oberhasli den Räterichsboden-Stausee für ein Ausbauprojekt leeren können, evakuieren ihre Ökologen die Forellen aus der Hasli-Aare und siedeln sie in den Reichenbach um.
Samstagfrüh beginnt die Arbeit für die Retter der Bachforellen mühsam. Weil das glasklare Wasser der Hasli-Aare an den steileren Stellen im Gebiet Handeck den Strom nicht recht leitet, kommen die beiden Teams mit ihren Elektrobefischungsgeräten kaum vorwärts.
Matthias Meyer von der Ökologieabteilung der Kraftwerke Oberhasli KWO, Fischereiaufseher Martin Flück und ihre 13 Helfer von den KWO und vom Fischereiverein Oberhasli lassen aber nicht locker: Sorgfältig suchen sie das steinige Bachbett ab, und wo nötig streuen sie Salz, bis das Wasser leitfähiger wird und sich die Bachforellen mit den Stromstössen aus ihren Verstecken jagen und einfangen lassen. Zappelt ein Fisch im Netz, steht sofort ein Träger mit einem Wasserkübel bereit. In schnellen Intervallen werden die Tiere in Transportbehälter mit kühlem, gut mit Sauerstoff versorgtem Wasser gebracht.
Wo die Aare ruhiger fliesst und tiefere Glunggen bildet, verstecken sich die kleinen Fische zu Hunderten unter grossen Steinen und in Felsspalten. Allein mit dem ersten Transport bringen Martin Flück und Matthias Meyer 428 Bachforellen aus der Hasli-Aare in den Reichenbach.
Umsiedlung ist Teil der Bauauflagen
Die Umsiedlung der Bachforellen gehört zu den Auflagen für das Ausbauprojekt Tandem, für das die KWO in gut sechs Wochen den Räterichsboden-Stausee leeren. Denn bei der Öffnung des Grundablasses wird ein Teil der Sedimente aus dem See gespült; und weil die Fische dieses Schlammwasser wahrscheinlich nicht überleben würden, müssen sie zwischen Staumauer und Handeck evakuiert werden.
«Dabei geht es mehr um Tier- als um Naturschutz», erläutert Gewässerökologe Matthias Meyer. Denn in diesen hoch gelegenen Gewässerstrecken, die durch steile Geländestufen vom unteren Teil der Hasli-Aare getrennt sind, kommen Fische erst vor, seit sie von der Fischerei eingesetzt wurden. Die Bachforellen sind hier vor allem Nutztiere.
Forellen werden «zurückgezügelt»
Mit der Umsiedlung in den Reichenbach werden die jungen Bachforellen vor Leiden und die Fischerei vor Schaden bewahrt. Den Reichenbach hat Fischereiaufseher Flück als «Ausweichquartier» ausgesucht, weil er zum Einzugsgebiet der Hasli-Aare gehört und ebenfalls allen Fischern mit einem Patent offen steht. Vor allem aber hat der Bachforellenbestand des Reichenbachs durch die Hochwasser stark gelitten und kann die «Verstärkung» gut gebrauchen. Die grossen, geschlechtsreifen Tiere werden ins Gadmerwasser gebracht und später in die Brutanstalt des Fischereivereins Oberhasli in Meiringen. Zusammen mit ihren Nachkommen sollen sie nächsten Sommer wieder bei Handeck in die Aare eingesetzt werden.
Damit möglichst kein Fisch in der Hasli-Aare zurückbleibt, wird der obere Teil in diesen Tagen drei- bis viermal abgefischt. «Der Aufwand ist gross», sagt Martin Flück. Noch viel aufwendiger war allerdings die Vorbereitung auf die letzte Stauseeleerung 1991. Damals wurde die Hasli-Aare nicht nur bis Handeck, sondern bis Innertkirchen wiederholt abgefischt.
Katastrophe nicht ausgeschlossen
«Heute können wir ab dem Einleitwerk Handeck gleich ob Guttannen das Wasser mit bis zu zehn Kubikmeter klarem Wasser aus dem Gelmersee verdünnen», erklärt der Fischereiaufseher. Damit steigt die Sicherheit für die Fische im unteren Teil der Hasli-Aare wesentlich. Eine Katastrophe wie damals, als ein Föhneinbruch und Regen bis 3000 m ü.M. die Sedimente des leeren Sees im Winter noch einmal in die Aare spülte und die Fische vernichtete, die erst nach der Seeleerung in die Aare geschwommen waren, kann man allerdings auch heute nicht ganz ausschliessen.
Deshalb verlässt man sich für die Seeforellen, die natürlicherweise im unteren Teil der Hasli-Aare vorkommen, nicht nur auf die Dotierung mit klarem Wasser, sondern sorgt mit verschiedenen «Versicherungen» für einen schnellen Wiederaufbau des Bestandes vor. Dazu gehört der Ausbau der Brutanstalt in Meiringen, in der diesen Winter mehr Seeforellen als üblich für den Besatz der Hasli-Aare aufgezogen werden.
Erste Seeforellen umgeleitet
Vor allem aber werden die Seeforellen, die aus der Hasli-Aare stammen und im Herbst jeweils zum Laichen dorthin zurückkehren, dieses Jahr in das Urbachwasser umgeleitet, wo sie und ihr Laich vor dem Schlamm sicher sind. Die «Fischweiche», welche die KWO-Ökologen zu diesem Zweck vor zwei Wochen in Innertkirchen montiert haben, hat sich nach einem ersten Test von 2012 nun auch schon im Ernstfall bewährt. «Die Laichwanderung der Seeforellen beginnt zwar erst richtig», sagt Matthias Meyer. «Aber einen ersten ‹Run› mit zehn grossen Elterntieren konnten wir bereits vor der Weiche stoppen und teilweise umleiten.»
Ruhig schlafen wird der Gewässerökologe aber erst nächsten Sommer, wenn der Räterichsboden-See wieder gefüllt ist, die Hasli-Aare nach mehrmaligen Spülungen wieder so klar fliesst wie heute und sämtliche Forellen wieder dort herumschwimmen, wo sie hingehören.
Quellennachweis: Berner Zeitung http://bo.bernerzeitung.ch/region/thun/ ... y/11533704