Brienzersee - sterile Felchen usw.

Fragen und Antworten zum Thema: Der Fisch in seiner natürlichen Umgebung Verhalten, Habitat, Nahrung und Besatzmassnahmen/Bewirtschaftung.
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helix
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Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von helix »

Hallo zusammen!

Unten angeführt eine brandaktuelle Medienmitteilung über den Brienzersee von heute. Zu der Lage habe ich mich schon mehrmals geäussert; der Brienzersee hat m.M.n. trotz geringerer Nährstoffdichte momentan einen guten und vielseitigen Fischbestand. Nur die Felchen wachsen schon seit länger nicht mehr gut ab und haben sich an die Situation angepasst. Die Erträge des Berufsfischers (Felchen = Brotfisch) sinken demzufolge und deshalb wird der Schluss gezogen, dass es im Brienzersee bald keine Fische mehr gibt (z.B. heute im Lokalradio gehört), was einfach hinten und vorne nicht stimmt. Zum Glück will aber der Kanton, vorerst zumindest, keinen künstlichen Anstieg des Phosphor bzw. Phosphatgehalt!

Was allerdings neu ist, dass es nun vermehrt auch geschlechtslose, sterile Felchen (siehe blauer Text) gibt. Das stimmt mich schon ein wenig nachdenklich.

Kommunikation
Kanton Bern
Diese Medienmitteilung ist auch über Internet abrufbar: http://www.be.ch/medienmitteilungen
Staatskanzlei
Medienmitteilung
Postgasse 68
3000 Bern 8 Telefon 031 633 75 91 Telefax 031 633 75 97 kommunikation@be.ch
http://www.be.ch
Bern, 7. November 2011

Medienmitteilung der Volkswirtschaftsdirektion
Brienzersee
Starker Rückgang der Nährstoffe und der Fischbestände
Heute gelangen kaum noch Nährstoffe in den Brienzersee. Die Fangerträge der Berufsfischer sind auf ein Niveau gesunken, das eine wirtschaftliche Aufrechterhaltung der Berufsfischerei in Frage stellt. Der Kanton Bern hat eine Zustandsanalyse des Brienzersees erstellt und die teilweise markanten Veränderungen seit 1999 dokumentiert. Eine künstliche Erhöhung des Phosphoreintrags in den See lehnt der Kanton zum jetzigen Zeitpunkt ab.
Im Brienzersee hat der wichtigste Algennährstoff Phosphor in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Dies als gewolltes Ergebnis der bundesrechtlichen Gewässerschutzmassnahmen im Einzugsgebiet und des seit dem Jahr 1986 geltenden Phosphatverbots in Waschmitteln. Schon immer ein karges Alpenrandgewässer, weist der Brienzersee heute die tiefste Phosphorkonzentration von allen grösseren Schweizer Seen auf. Damit nähert er sich bezüglich des Phosphateintrags wieder einem natürlicheren Zustand.
Während sich die Menge der Algen seit dem Jahr 1999 nicht markant verändert hat, schwankt diejenige des Zooplanktons stärker. Insbesondere fehlen, wie schon im Hochwasserjahr 1999, seit 2008 die Blattfusskrebse (Wasserflöhe) im Brienzersee fast vollständig. Das Ausbleiben dieser für Fische sehr wichtigen Futterorganismen hat Konsequenzen für den Fischbestand. Namentlich die beiden Felchenarten „Felchen“ und „Brienzlig“ wachsen heute viel langsamer. Waren 4-jährige Brienzlige im Jahr 1995 noch ungefähr 26 cm lang, erreichen sie heute noch eine Länge von ungefähr 18 cm. Der Fangaufwand der Berufsfischer hat dadurch markant zugenommen. Trotzdem ist der Jahresfangertrag von Berufs- und Angelfischern mit 1-2 kg/ha auf das mit Abstand tiefste Niveau aller grösseren Schweizer Seen gesunken. Zum Vergleich: Im deutlich nährstoffreicheren Bielersee erzielen allein die Berufsfischer einen Jahresertrag von 40-50 kg/ha. Als Folge dieser Entwicklung hat seit dem Jahr 1995 die Anzahl der Berufsfischer am Brienzersee von 5 auf noch 2 abgenommen.
Ebenfalls seit dem Jahr 2008 treten bei den Felchen gehäuft Individuen ohne Geschlechtsorgane auf. In den Sommermonaten der Jahre 2009 und 2010 waren über die Hälfte der Brienzlige steril. Inwieweit die Sterilität dieser Fische in einem Zusammenhang mit der zeitgleich aufgetretenen Futterknappheit steht, ist gegenwärtig noch unklar, ebenso die Fragen nach dem Einfluss der geringen Futtermenge auf die Biodiversität und die Erhaltung dieser nur im Brienzersee vorkommenden Felchenart.
Der starke Rückgang der Fangerträge im Vergleich zu den ertragreichen 1970er- und 1980-er Jahre hat in Fischereikreisen die Frage aufkommen lassen, ob diese Entwicklung nicht mit einer reduzieren Phosphatfällung in den Kläranlagen gebremst werden könnte. Da die Gewässerschutzvorschriften mehrheitlich auf bundesrechtlichen Vorgaben basieren, müsste der Bund zuerst die diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen anpassen, bevor der Kanton aktiv werden könnte. Dazu kommt, dass die Wirkung der Massnahmen unter Experten umstritten ist und auch zu einer Erhöhung der jährlichen Betriebskosten der Kläranlagen im Einzugsgebiet des Brienzersees führen würde. Das Fischereiinspektorat und das Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern haben daher entschieden, keine Massnahmen zu ergreifen, welche die bisherigen Anstrengungen für den Gewässerschutz in Frage stellen. Die Entwicklung im Brienzersee soll allerdings weiterhin genau verfolgt werden.
Der Bericht „Die Entwicklung des Brienzersees seit 1999: Zustandsanalyse 2010“ ist auf dem Internet verfügbar unter http://www.be.ch/medienmitteilungen oder http://www.vol.be.ch unter den Rubriken „Natur“, „Fischerei“, „Aktuell“.
Ich bin gerade noch etwas baff und muss diesen Bericht und die erneute Meldung vom offenbar bald "fischlosen See" zuerst verdauen, bzw. einordnen... Bin gespannt, wie ihr darüber denkt!
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Gruess helix
Würmlibader

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Würmlibader »

kenne den brienzersee im speziellen nicht, jedoch denke ich, dass zumindest in einigen fliessgewässern, die wasserqualität schon mit fehlender nahrung resp zu sauberem wasser und somit mit einem rückgang der fischpopulationen zusammenhängt - warum also nicht auch im brienzersee?

die rechnung ist ja stark vereinfacht ausgedrückt so:
grössere fische fressen kleinere, kleine fressen kleinstlebewesen, diese wiederum müssen auch nahrung haben - da kommen dann langsam 'abfallprodukte' aus zersetzungsvorgängen sowie bakterien ins spiel, wobei auch die bakterien was zu fressen brauchen...

kurz also, wenn das wasser 'zu sauber' ist, entstehen weniger Bakterien und andere Reduzenten, die kleinstlebewesen ernähren, also werden mangels futter auch die weniger, was wieder bedeutet dass auch weniger kleinfische ernährt werden können
Arts

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Arts »

Hallo,

Das klingt so nahrungsketten technisch natürlich schon logisch,

Das zu sauberes Wasser sterile Fische hervorbringt ist dann aber schon wieder weit hergeholt...
Was ich mich frage ist, da wachsen anscheinend Fische ohne Geschlechtsorgane? Ich meine Steril ist was anderes, aber ohne Geschlechtsorgane?

Wenn du mich als nicht Biloge, mit meinem Verständnis fragen würdest, so antworte ich auch wie Würmlibader....

Aus anderer Sicht betrachtet.... Bei Ratten oder auch anderen Tieren gibt es die Selbstregulierung.. Bei grossem Nahrungsangebot explosionsartige Vermehrung.... Bei Überbevölkerung plötzliches Massenstereben... Aber nicht nur Massensterben wegen zuwenig Nahrung (verhungern), sondern auch weniger Nachwuchs

Kann ja auch sein das wirklich, durch das verminderte Nahrungsangebot sich die Felchenpopulation selbst reguliert auf ein Niveau an welches der See in der Lage ist Nahrung abzugeben...

Tja, von Fischarmut zu sprechen weil der "Brotfisch" weniger gefangen wird.... Irgendwie ist ja die Felche nicht nur der "Brotfisch" der Berufsfischer, sondern auch von Hecht und Co..

Wäre das Nahrungsangebot des Brienzersee gut, könnte man doch im Minimum eine Zunahme von weissfischen verzeichnen...

Und, warum findet man den nur sterile Felchen? Warum nicht bei anderen fischen wie Rotauge, Trüsche, Hecht Barsch?? Hat man vermutlich noch gar nie untersucht ;)

Man müsste eventuell mal eine breitere Untersuchung machen.... Nicht nur Felchenspezifisch. Eventuell gibts das ja auch bei anderen Fischen, doch dort machts halt nicht "weh" im Portemonai ;)

Tom
Zuletzt geändert von Arts am Mo 7. Nov 2011, 23:02, insgesamt 4-mal geändert.
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astacus
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von astacus »

zu sauber... bla bla bla... viele unserer gewässer sind nicht mehr so überdüngt wie noch vor 30 jahren und nähern sich wieder dem nährstoffärmeren ausgangszustand an. das ist nichts anderes als eine renaturierung und damit positiv zu werten - selbst wenn eine folge unter vielen davon ist, dass gewisse fischarten dadurch eher weniger häufig sind. andere profitieren dafür umso mehr.

dass das auftreten von sterilen fischen offenbar mit dem rückgang des nahrungsangebotes korreliert, ist eine interessante und (für mich) überraschende erkenntnis. weitere untersuchungen dazu wären sehr zu begrüssen. entgegen den bisherigen annahmen aus dem thunersee, dass evt. diffuse giftstoffe verantwortlich sein könnten, käme nun mit den beobachtungen aus dem brienzersee auch eine positive erklärung in betracht: die möglicherweise verminderte fruchtbarkeit als eine blosse anpassung des fisches an ein vermindertes nahrungsangebot, womit eine natürliche populationsregulation erreicht würde.
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Arts

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Arts »

Hallo,

Tja, das mit den diffusen Giftstoffen, das hakt bei mir mit meinem bescheidenen kentnissen weil... das Ganze wäre ja kumulativ...
Desto mehr Dörfer, Städte, Agglomerationen und das immer breiter werdende Einzugsgebiet, Zusammenfluss von Bächen in die Aare Bielersee usw, desto mehr Giftstoffe wären in den Gewässern

Das würde auch heissen, das im Bielersee mehr diffuse Giftstoffe (antibabypillen hormone usw....) enthalten sein müssten als im Thunersee, es folglich auch im Bielersee mehr sterile Felchen geben müssten als weiter oben ;)

Und vorallem wären ja wohl kaum nur die Felchen betroffen...

Gruss
Tom
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astacus
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von astacus »

möglich wäre eine giftquelle durchaus. beispielsweise wenn es bloss eine einzige im thunersee selbst wäre, die etwa aufgrund ihrer lage zudem nur eine planktonart kontaminiert, die wiederum nur von der felche aufgrund der von ihr besetzten ökologischen nische gehäuft gefressen wird. damit wäre auch nur die thunerseefelche betroffen. und wenn es nur eine quelle wäre, würde sich die giftkonzentration flussabwärts tendenziell verdünnen und nicht etwa anreichern.

das ist jetzt zwar nur ein gedankenexperiment, welches allerdings zeigt, dass eine giftquelle durchaus eine ursache sein könnte. nach meinem kenntnisstand konnten aber solche vermutungen bisher nicht bestätigt werden.
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Arts

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Arts »

Tja

Meins waren auch nur Gedankenszüge... Weil man als Grund ja immer wieder die Hormone von Pillen genannt hat...
Da scheint es logisch das mit zunehmnder Strecke die Kontamination zunehmen würde.
Ansonsten müsste es ja wirklich ein spezifische lokale und auch nachweisbare, messbare kontaminationsquelle geben.

Wäre eine solche Kontamination nicht messbar? Immerhin lässt sich heute aufgrund von Wasseranalysen die Zunahme des pro Kopf Kokainkonsum einer Stadt errechnen....

Auf jedenfall wäre als mögliche Erklärung, abgesehen der diffusen Gifte, die Selbstregulierung eine durchaus interessante Theorie...

Tom
Chrigel

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Chrigel »

Dieses Phänomen gibt es ja schon lange im benachbarten Thunersee. Meine Erklärung:

Laichfischfang im Brienzersee ist mühsam und bringt wenig Ertrag, deswegen werden Felchen, welche ursprünglich vom Thunersee sind (mit dem Steril"syndrom") in den Brienzersee ausgesetzt.

Und nix Babypillendingsbumbs, sonst müsste dieses Phänomen im Mittelland x-fach häufiger vorkommen.
alpfish

Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von alpfish »

Intressante Theorie:.
Ich wäre bei einem meiner Pachtgewässer froh, wenn der Seesaibling wegen wenig Nahrung als Gegenreaktion teilweise steril würde. Dann wäre der Kleinwuchs gebremst.

Finde es ja auch gut, wenn die Phospahtfällung weiterhin beibehalten wird, aber "... auch zu einer Erhöhung der jährlichen Betriebskosten der Kläranlagen im Einzugsgebiet des Brienzersees führen würde".
Das der teilweise Verzicht von Fällungsmitteln Mehrkosten verursacht, muss man mir noch erklären.. :mrgreen:
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Rolandus
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Rolandus »

Lieber Helix
Danke für den Thread. Ich hab auch geschluckt, als ich die Artikel las. Auch heute noch im 20 Minuten war ein kurzer Artikel mit einem Foto von dem Herrn Meyer. Da wurde ja ziemlich vie Werbung gemacht, man möge bitte den bekannten und weitherum in Vereinen aktiven Hobbyfischer in den Nationalrat wählen. Und jetzt, da er nicht genügend Stimmen erhielt, muss er weiter für die Fischer weibeln und sich als erstes stark machen FÜR die Lockerung der ARA-Vorschriften, damit mehr Phosphat in die Gewässer gelangen. Da kommt mir die Galle hoch und ich werde ihm meine Stimme ein nächstes Mal nicht mehr geben.
Es kann doch nicht sein, dass "man" sich Jahrzehnte lang für saubere Gewässer einsetzt und nun nach 40 Jahren sollen sie zu sauber sein, nur weil zwei noch Berufsfischer und ein paar Hobbyfischer zu wenig Fische fangen - geit's no?
Also es gibt Hunderte von Bauern, die dem Strukturwandel zum Opfer fallen, viele Fabrikarbeiter, die Ihren Job durch den Wandel der Zeit verlieren. So ist das nun halt, es hängt alles zusammen. Wir können doch nicht wieder mehr Abwasserdreck in die Seen einbringen um zwei Fischer vor dem beruflichen Aus zu retten. Das wäre Verhältnisblödsinn.
Einheimischen Fisch essen die Meisten von uns sowieso nicht mehr. Auf meinem Teller in der Cabane in Erlach waren diesen Herbst, wie auf Anfrage bestätigt, auch Egli aus dem Baltikum.
Da hilft auch 1-2 Fischer mehr oder weniger nicht. Da braucht es ganz andere Pläne.
Wenn es nötig ist, verzichte ich eines Tages sogar ganz auf's Fischen, wenn es der Natur nützen sollte, damit diese so nahe wie möglich an einem natürlichen Zustand herankommt. Oder ich gehe ab und zu an einen Zuchtsee/Teich, falls ich es dereinst nicht lassen kann einen Drill zu erleben. Aber Menschendreck ins Gewässer zu leiten, nur damit dieser mehr Fischfleisch produziert, nein das geht gar nicht, da würde ich militant und aktiv einschreiten.
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ForellenSimon
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von ForellenSimon »

Und jetzt, da er nicht genügend Stimmen erhielt, muss er weiter für die Fischer weibeln und sich als erstes stark machen FÜR die Lockerung der ARA-Vorschriften, damit mehr Phosphat in die Gewässer gelangen. Da kommt mir die Galle hoch und ich werde ihm meine Stimme ein nächstes Mal nicht mehr geben.
Vielleicht liegts auch dran, dass der genannte Herr Präsident des Kantonalen Fischerei-Verbandes ist und sich dadurch genau für UNSERE Interessen einsetzt und nicht um sich im Licht der Öffentlichkeit zu präsentieren....

Ja - manchmal kommt mir auch die Galle hoch, aber wenn ich solche Sachen hier lese!
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helix
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von helix »

Spannende Feedbacks!

Die Brienzerseefelchen passen sich an ändernde Umweltbedingungen an und sollten eigentlich mittlerweile recht gut an die Verhältnisse des Sees adaptiert sein. Das sieht man z.B. am gewaltigen morphologischen Unterschied zu den benachbarten Thunerseefelchen. Die Konditionsindizes der letzten Jahre zeigen dies ebenfalls deutlich, das sind mittlerweile eigentlich zwei völlig unterschiedliche Felchenformen (es wird sogar von unterschiedlichen "Arten" gesprochen). Ein Besatz von Thunerseefelchen im Brienzersee wäre für die Katz und wird meines Wissens auch nicht (mehr) gemacht. Thunerseefelchen sind genetisch unterschiedlich, die als Brut im Brienzersee ausgesetzten Felchen würden schlicht verhungern, da sie an diese Verhältnisse nicht angepasst sind. Die Kiemenreusendornen zum filtern der Nahrung sind hier auch ausschlaggebend.

Das Fehlen der Daphnien (Wassereflöhe) führte in den letzten Jahren zu einem gewaltigen Einbruch des Konidtionsindexes der Brienzerseefelchen. Es wurden halt, despektierlich ausgedrückt, "Schläuche", 25 Massfelchen wiegen etwa 1kg (!). Das ist zwar für einige Hobby- und v.a. für den Berufsfischer nicht schön, schon klar, aber die primäre Frage ist m.E., ob es für den Fisch und die Natur, sprich das ganze Ökosystem Brienzersee, schön ist oder nicht! Da kann man Fisch nicht mit Mensch vergleichen, eine Population kann anzahlmässig durchaus intakt und fit sein, auch wenn sie nicht dem Wunschdenken des auf Profit ausgehenden Mensches entpricht.

Was das Fehlen von Geschlechtsorganen betrifft, muss man unterscheiden zwischen der im Thunersee auftretenden "Zwitterbildung" und dem gänzlichen Fehlen der Geschlechtsorgane. Sollten dies keine Gendefekte sein, wovon man heute im Thunersee eigentlich ausgeht, scheint klar zu sein, dass irgend eine Substanz besonders auf die für die Entwicklung der Geschlechtsorgane zuständigen Sexualhormone wirkt. Der Verdacht, dass dies auf ebenfalls hormonhaltige Präparate, welche in den ARAs nicht gefiltert werden können, zurückzuführen ist, finde ich eigentlich logisch. Dies obwohl, wie Chrigel schrieb, dieses Phänomen eigentlich auch in anderen Gewässern auftreten sollte. Glaube nämlich nicht, dass die Brienzer und Oberhasler mehr Antibabypillen verwenden als anderswo :mrgreen: .

Die von Asti erwähnte These, dass dies quasi eine gewollte Anpassung an die veränderten Bedingungen sein könnte, finde ich spannend und gar nicht so abwegig, obwohl mir der Zeitraum (einige Jahre) für eine doch sehr massive genetische (falls nicht eine "Krankheit") Veränderung doch eher zu klein erscheint. Bei anderen Arten, z.B. der Seeforelle, konnte ich dieses Phänomen von fehlenden Geschlechtsorganen auch schon beobachten.

Was mir bei den nun fast regelmässigen Schreckensmeldungen über den Brienzersee aber enorm aufstösst, ist die falsche Sensibilierung der Bevölkerung. Diese glaubt nun wirklich langsam, es gäbe bald keine Fische mehr im See und da werden natürlich Forderungen laut, wie eben einen Phosphatanstieg künstlich zu fördern. Von der Stube aus, ohne jemals die "wirklichen" Facts "live" am und im See (da gibt es nicht nur Felchen!!) zu sehen, wird Druck auf ein äusserst risikoreiches Handeln und "Experimentieren" in einem funktionierenden Ökosystem gemacht. Hoffentlich halten die zuständigen Behörden diesem immer grösser werdenden Druck (traurigerweise sogar von einigen Fischern!) stand. Im Sinne einer natürlichen Entwicklung eines derart schönen Alpenrandsees!
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von astacus »

aha, "unsere" interessen sind also überdüngte, verschmutzte gewässer?!

dann gehöre offenbar auch ich nicht zu "uns".


im ernst: ein fischereiverband (und dessen präsident) sollte mehr vertreten als nur die meinung, dass möglichst viele fische in den gewässern schwimmen, ohne rücksicht auf natürliche ökologische begebenheiten. da sich die fischereiverbände explizit auch als gewässerschutzorganisationen verstehen, sollten sie es tunlichst unterlassen, die künstliche düngung von gewässern zu propagieren, nur damit die fangerträge steigern. wer so denkt, geht lieber gleich ins puff fischen.
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von ForellenSimon »

Übrigens ich unterstütze seine Ansicht nicht. Aber wie Du vielleicht weiss arbeitet der Verband oftmals gegen die Verwaltung. Und so auch in diesem Fall, was zumindest einer anderen Ansicht Gehör verschafft.

Ach und letztlich hilft am meisten immer noch Stöckchen raus und selber was machen... statt hier rumzugurken. Die Fischerei braucht engagierte Leute! :up:
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Rolandus
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Re: Brienzersee - sterile Felchen usw.

Beitrag von Rolandus »

Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe und noch etwas über die Thematik nachgedacht habe, kommt mir noch folgendes in den Sinn.

1) Wenn es wirklich bedeutend ist, dass ein See für uns und die Berufsfischer grössere Mengen produziert: Warum satteln dann diese Berufsfischer nicht um auf stationäre Zucht in Netzen an bestimmten bewilligten Plätzen, wie man es z.B. in Fjorden in Norwegen tut? Da kann ich mir - unter Berücksichtigung von zu erarbeitenden gesetzlichen Regelungen und kontroliierten Vorschriften durchaus eine Zukunft vorstellen. Eine möglichst biologische Zucht von einheimischen Fischen in klar abgegrenzten Bereichen/Buchten, teilweise überdeckt mit Solarpanels (es gab mal ein solches Solarpanelprojekt für den Thunersee).
Ein solches Experiment würde durchaus mehr Sinn machen, als experimentell mehr Zivilisationsdreck und Gülle in den See zu spülen.
Für mich hat intelligente Fischzucht eine grosse Zukunft. Die natürlichen Gewässer und Fischpopulationen sollen natürlich belassen werden, möglichst ohne gross reinzupfuschen. Es kam und kommt sowieso nie gut, wenn der Mensch an der Natur rumwerkelt....
2) Ich habe schon etliche Reportagen und Artikel in den vergangenen Jahren gesehen, die zeigen, wie die Natur mit kollektiver Intelligenz (wass wir Menschen nicht so sehr kennen....) auch die Pupulation regeln kann. Da gibt es Tiere, die sich selbst in bestimmten Phasen töten, wenn nicht genügend zu Fressen da ist. Solche, die in bestimmten Zyklen oder Jahren plötzlich keine Fortpflanzung zeigen, wenn z.B. Trockenheit die Nahrungsbasis verschlechtert etc.
Wäre es der Natur nicht zuzutrauen, dass sie im Falle des Brienzersees einfach mit nicht geschlechtlichen Tieren reagiert, wenn wegnier Nahrung da ist und dass dies ein ganz natürlicher Vorgang wäre, den es seit Jahrmillionen gibt? Und abgesehen von unseren Wertvorstellungen und Mengenzielen kein Problem darstellt?
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